Plötzlich waren sie da. Urmanuskript, Zeile 14. Bunte, fusselige Wesen, mit Schnäbeln und kurzen Füßchen. Die Zwuusel.
Weniger als eine Viertelstunde konnte vergangen sein, seit ich das Großprojekt »Pongo und die Elfenverschwörung« aus der Taufe gehoben hatte (mein erstes Schreibprojekt, das überhaupt jemals fertig werden sollte), Kiffis und Pongos erste Auftritte lagen noch in weiter Ferne, andere Hauptfiguren waren noch nicht einmal erdacht. Da schon hopsten diese possierlichen Vögel vor meinem inneren Auge herum. Von Anfang an hatte ich ein ziemlich klares Bild im Kopf, auch wenn ich mir nicht die Mühe machte, sie genauer zu beschreiben. Zwuusel eben.
Was ich nicht wusste: die Zwuusel waren keine reinen Fantasiegestalten. Ich lebte längst mit einem zusammen (oder er mit mir). Fünf Jahre lang saß er mir beim Schreiben quasi unter der Nase, hunderte Male muss ich ihn angeschaut haben, ohne die Verbindung zwischen ihm und der Welt in meinem Kopf herzustellen. Nachdem das Projekt schon ungefähr zur Hälfte gediehen war, zeichnete ich ihn sogar, zusammen mit ein paar anderen Figuren – langer Schnabel, kurze Füßchen, lange, rosafarbene Haare – und schnallte es immer noch nicht.
Wer er war?
Ein Plüschtier natürlich. Vor Kurzem erst hat mir meine Mutter erzählt, dass ich ihn zur Geburt geschenkt bekommen habe. Stets hatte er einen festen Platz in unserem Kuscheltiersammelsurium und war für jeden Spaß zu haben. Ich kann mich noch erinnern, dass ich ihn einmal für ein Fotoshooting mit nach draußen genommen habe. Ich habe ihn auf Äste gesetzt oder ins hohe Gras und ihn wie ein Tierfotograf abgelichtet. Einen ganzen Film habe ich dabei vollgeknipst. Doch obwohl wir viele schöne Erlebnisse zusammen hatten, hat er es nie zum Nr-1-Kuscheltier – zum Alphakuscheltier sozusagen – gebracht. Diesen Posten bekleidet nach wie vor mein Stoffhase Mümmi, der auch heute noch in meinem Bett schläft. Er war früher ebenfalls rosa. Mittlerweile ist er weiß und hat kaum noch Fell. So gesehen ein Glück für den Zwuusel, dass ihm dieses Schicksal erspart geblieben ist.
Als ich älter wurde, schrumpfte die Kuscheltierherde. Viele landeten auf dem Dachboden oder wurden heimlich von meiner Mutter entsorgt. Mein Zwuusel überstand dieses Artensterben, suchte sich ein sicheres Plätzchen auf einem staubigen Regalbrett und wartete auf bessere Zeiten. Ich begann und beendete »Pongo und die Elfenverschwörung« und zog von zu Hause aus. Mein Zimmer wurde entrümpelt, noch mehr Kinderspielsachen verschwanden für immer, doch der Zwuusel blieb auch diesmal verschont. Schließlich war er immer da gewesen. Eine Welt ohne ihn – undenkbar!
Auch das Buch wanderte über Jahre in ein staubiges Regal. Erst für das Projektseminar holte ich es wieder hervor und kehrte zurück nach Pärlonien. Dann eines Tages – ungefähr zehn Jahre, nachdem ich das Wort »Zwuusel« zum ersten Mal in den Computer getippt hatte – lief ich an diesem alten Stofftier vorbei. Schaute es an. Und dachte: »Krass, ein Zwuusel.«
Warum kam die Erleuchtung so spät? Natürlich weil »Zwuusel« eine ganze Spezies bezeichnet. Mein treues Plüschtier kannte ich aber nur unter seinem ganz persönlichen Namen. Flausch. Darüber, welcher Art Flausch angehört, habe ich mir nie Gedanken gemacht. Es gab ja nur ihn.
Nun stand ich da auf meinem schrecklich gemusterten Kinderzimmerteppich, hielt Flausch in den Händen, der unschuldig zu mir aufsah, und konnte nur staunend den Kopf schütteln. Als kurz darauf meine erste Lesung stattfand, war Flausch dabei. Als in der Zeitung ein Artikel über das Buch erscheinen sollte, durfte Flausch mit aufs Foto. Als es an die Planung für die Website ging, setzte ich mich nochmal hin und zeichnete Flausch, meinen Zwuusel, ein zweites Mal. Er hatte es geschafft. Vom geduldigen Betakuscheltier zum Maskottchen. Da erschien es nur logisch, dass er auch beim professionellen Autorinnen-Fotoshooting dabei sein sollte. Eines der Ergebnisse siehst du oben.
Andere Zwuusel habe ich bisher übrigens nur in Pärlonien gesichtet. Wo Flausch herkommt, weiß ich nicht. Vermutlich hat er Ende der 80er Jahre das Licht der Welt erblickt, alles andere liegt im Dunkeln. Wenn er mal ein Stoffschildchen hatte, auf dem »Made in China« stand, hat er es verloren.
Aber vielleicht leben ja da draußen noch weitere »reale« Zwuusel. Schreib mir, wenn du einen entdeckst. Mit etwas Glück ist es ein Weibchen. Wäre doch toll, wenn es sie auch bald hier bei uns gäbe.